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Zwischen Freiheit & Sicherheit - Ein Kommentar
Fr, 7.2.20

Zwischen Freiheit & Sicherheit - Ein Kommentar

von Emma Unser

Wovon fühlst du dich bedroht? Diese Frage stellte das US-Forschungsinstitut Pew Research CenterBürger*innenweltweit. Die Umfrage ergab, dass in Deutschland die globale Erderwärmung als die derzeit größte Bedrohung wahrgenommen wird. An zweiter Stelle nannten die Befragten die Bedrohung von einer militanten IS-Gruppe, gefolgt von einer Cyberattacke, den USA und Russland.

Wovon sich Menschen bedroht fühlen, ist in erster Linie subjektiv und damit von Individuum zu Individuum sehr unterschiedlich. Dennoch sollten sich Politiker*innen mit den Ängsten der Bürger*innen auseinandersetzen und gegebenenfalls darauf reagieren. Aber warum dreht sich die Sicherheitsdebatte vorwiegend um Terrorabwehr, während effektiver Klimaschutz von Seiten der Bundesregierung boykottiert wird? Wenn sich die Mehrheit der Gesellschaft vor der Klimakrise mehr fürchtet als vor einem terroristischen Anschlag, muss das in die Sicherheitsdebatte aufgenommen werden. Wer in Sicherheit leben will, braucht eine intakte Umwelt. Langfristig sollte die Klimapolitik als die nachhaltigste und wichtigste Form der Sicherheitspolitik betrachtet werden.

Ist es deshalb zum Schutz der Umwelt und der Allgemeinheit notwendig eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen einzuführen? Das persönliche Freiheitsrecht der Autofahrer*innen wäre im Umkehrschluss eingeschränkt. Neben Klima und Sicherheitspolitik geht es jetzt auch um die Freiheit des Einzelnen. Die kürzlich wiederentfachte Debatte um ein Tempolimit steht beispielhaft fürden ständigen Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit. Eine erhöhte Geschwindigkeit birgt zunächst eine größere Gefahr für alle anderen Verkehrsteilnehmer*innen. Das Tempolimit könnte die Zahl der schwerwiegenden Unfälle minimieren und gleichzeitig für einen geringeren Kraftstoffverbrauch sowie für weniger CO2-Emissionen sorgen. Umweltschützer*innen und Autofanatiker*innen geraten in eine häufig emotional geführte Debatte. Am Ende bleibt die Herausforderung, das große Ganze im Blick zu behalten, um das richtige Maß von Freiheit und Sicherheit zu finden.

In zahlreichen Lebensbereichen kollidiert die Freiheit einzelner mit dem Schutz der Allgemeinheit. Das Spannungsfeld reicht von Terror-und Kriminalitätsbekämpfung, der Videoüberwachung von öffentlichen Räumen, über den Datenschutz bis hin zur Vorratsdatenspeicherung und endet keineswegs beim Tempolimit auf Autobahnen. Um in den Diskurs einzusteigen, sollte sich jeder über die Bedeutung der Begriffe Freiheitund Sicherheit im Klaren sein. Rechtssicherheit bildet zunächst die Grundlage unseres freiheitlichen Rechtsstaates und damit die Basis des menschlichen Zusammenlebens. Gleichzeitig ist die Freiheit jedes Individuums der Grundstein unserer Demokratie. Beide Werte müssen in einem ständigen Spagat von Politik und Gesellschaft diskutiert werden.Freiheit braucht Sicherheit, aber Sicherheit muss Freiheit schützen und nicht aufheben. Es gibt weder absolute Sicherheit noch grenzenlose Freiheit. Damit ist eine Diskussion allein um die Garantie von Sicherheit zwecklos. Freiheit und Sicherheit sind im gegenseitigen Kontext zubetrachten. Der Staat hat die Aufgabe, die Freiheit einzelner und gesellschaftlicher Minderheiten zu schützen.

Terror, Hetze und Gewalt im öffentlichen Raum sowie im Netz produzieren immer wieder einen Aufschrei nach härteren Sicherheitsmaßnahmen. Denn wie viele Menschenleben darf die Freiheit kosten? Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und darauffolgenden Anschlägen im europäischen Raum wurde eine globaleSicherheitsarchitektur aufgebaut. Dabei drehte sich alles darum, wer am schnellsten und am härtesten durchgreift. In Eile wurden Polizeigesetze verschärft. Polizeigewalt und Befugnisse der Sicherheitsbehörden wurden ausgeweitet, anstatt europäische Vernetzung und Zusammenarbeit ausreichend zu fördern. Fehleranalyse und Aufarbeitungin den Sicherheitsbehörden blieben aus. Fast unbemerkt werden mühsam erkämpfte Freiheitsrechte mit den Füßengetreten. Tatsächlich kann nur ein freiheitlicher Rechtsstaat, Hass und Terror die Stirn bieten. Gewaltanwendung und Terror egal welcher Couleur zielen genau auf unsere freiheitlich demokratischen Werte ab. Selbst in schwierigen Zeiten darf die offene Gesellschaft nicht von diesen Grundwerten abrücken. Freiheit ist kein Geschenk des Staates. Freiheitsrechte mussten jahrhundertelang blutig erkämpft werden. Sie unterscheiden eine Demokratie maßgeblich von einer Autarkie.

Permanente Überwachung und Kontrolle sind deshalb konsequent abzulehnen. Wird ein öffentlicher Platz überwacht, so verlagert sich der Ort des Schreckens einfach ein paar Kilometer weiter. Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im Netz sind Nutzer*innen dieser Überwachung ausgesetzt. Dabei muss das Recht auf Privatsphäre und informelle Selbstbestimmung jedem Menschen gewährt werden. Die Verantwortung für personenbezogene Daten, darf nicht an Telekommunikationsunternehmen und globale Datenkonzerne abgegeben werden. Mehr gesammelte Daten mit mehr Sicherheitgleichzusetzen, ist schlichtweg falsch. Bürger*innen dürfen nicht unter Generalverdachtgestellt werden. Was nötig ist, ist eine real wirksame Sicherheitspolitik, welche vor Kriminalität und Terror schützt, statt symbolische Maßnahmen zu ergreifen.

In Zeiten, in denen Populisten gnadenlos Ängste schüren, darf eines nicht vergessen werden: Jeder hat ein unterschiedliches Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit. Zwischen realer Bedrohung und subjektiver Wahrnehmung muss differenziert werden. Wenn das Sicherheitsgefühl der Wähler*innen genutzt wird um Politik zu machen, gerät unsere Demokratie unter Druck. Besorgte Stimmen dürfen aber nicht geleugnet werden. Der Ruf nach Sicherheit wurzelt in dem Gefühlallein gelassen zu werden. Menschen fühlen sich nicht mehr gehört. Nur ein solidarischer Sozialstaat und eine Wende in der Bildungspolitik können das ändern. Politische Bildung, Aufklärung und Analyse der Sicherheitspolitik sind essenziell, um gemeinsam das richtige Maß von Freiheit und Sicherheit diskutieren zu können. Denn mit dem Wandel der Gesellschaft stellt sich fortlaufend die Frage nach dem angemessenen Verhältnis von Freiheit und Sicherheit. Studien zeigen, dass einmal eingeführte Sicherheitsmaßnahmen in Zeiten geringerer Bedrohung häufig bestehen bleiben. Deshalb sollten Gesetze regelmäßig auf ihre Wirksamkeit geprüftwerden. Ansonsten bröckelt unsere Demokratie, denn auf Dauer verliert sie an Freiheit.

Dass sich der Großteil der Gesellschaft vor der Erderwärmung mehr fürchtet als vor einem terroristischen Anschlag, sollte die Bundesregierung aufmerksam machen. Wer nicht auf die Wahrnehmung der Bürger*innen hören will, sollte wenigstens auf die Erkenntnisse der Forschung und Wissenschaft hören. Die reale Bedrohung geht von der voranschreitenden Klimakrise aus. Die Klimakatastrophen werden vor Videokameras nicht Halt machen. Wem Freiheit und Sicherheit wirklich wichtig ist, der muss effektiv Umweltpolitik betreiben. Zum Einen ist eine vorausschauende Klimapolitik unabdingbar, um unsere Zukunft auf der Erde zu sichern. Zum Anderen muss die Freiheit jedes Einzelnen auch in Zukunft geschützt werden und darf nicht unter dem Vorwand der Sicherheit begraben werden. Für ein freies und „sicheres“ Leben muss jeglichen Symboldebatten mit Demokratiebildung entgegnet werden. Zwischen Freiheit und Sicherheit liegt schlussendlich die Demokratie, welche Rechtsstaatlichkeit und Freiheit jedes Einzelnen vereint. Als junge Europäer*innen haben wir die Verantwortung, die demokratischen Grundwerte gegenüber allen Antidemokraten entschlossen zu verteidigen

EMMA UNSER

ist seit Dezember 2018 Mitglied der Zitro-Redaktion. Außerdem ist sie Sprecherin der Ortsgruppe Rastatt/Baden-Baden, die sie wieder aufgebaut hat.