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Ein Stadion polarisiert
Mo, 26.7.21

Ein Stadion polarisiert

Von Marin Pavičić-Le Déroff - In Ungarn wurde vor kurzem ein Gesetz verabschiedet, welches die queere Community dort sehr hart trifft und einschränkt. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes „Homo-Propaganda“-Gesetz. Solche Gesetzgebung gibt es schon seit 2013 in Russland und die LGBT-freien Zonen richten sich auch gegen sogenannte „Homo-Propaganda“.

Diese Gesetze, die vermeintlich dem Kinderschutz dienen (so das Framing der ungarischen Regierung) verbieten Informationen zu Homosexualität, Nichtbinarität und Geschlechtsidentitäten, die nicht mit den bei der Geburt zugewiesenen übereinstimmen zu „bewerben“ und Kindern und Jugendlichen zugänglich zu machen. Auch dürfen Firmen in ihrer Werbung „Geschlechtsidentität, Geschlechtsanpassung oder Homosexualität“ nicht zeigen. Im Schulunterricht dürfen solche Themen nicht behandelt werden.

Was bedeutet das konkret? Wenn IKEA im Katalog ein lesbisches Paar zeigt oder eine trans* Person in einem Film zu sehen ist, darf das nicht in Ungarn erscheinen. Die Filmszenen müssten herausgeschnitten werden und der Katalog zensiert. Auch macht das Gesetz de facto Sexualaufklärung, die über heteronormative Themen hinausgeht, illegal. Filme wie „Love, Simon“ dürften erst nach Mitternacht im Fernsehen gezeigt werden.

Dieses Gesetz folgt einer Reihe von queerfeindlichen Gesetzen in Ungarn, wie zum Beispiel einer Verfassungsreform von 2020, die festlegt, dass eine Familie aus Mutter und Vater besteht, wobei die Mutter eine Frau ist und der Vater ein Mann. Regenbogenfamilien sind damit verfassungsfeindlich.

In Ländern wie Polen und Ungarn, wo queere Menschen zu Feindbildern gemacht werden, um die Autoritarisierung der Regierungen zu vereinfachen und zu legitimieren, wird der Raum, in dem sich queere Menschen entfalten können, zunehmend kleiner. Sie selbst können sie oft nur zuhause sein.

Am Mittwoch, dem 23.06.2021, spielten Deutschland und Ungarn in der Allianz-Arena in München. Dies war eine opportune Gelegenheit als Zeichen des Protests klare Kante gegen Orbáns Programm zu zeigen und die Allianz-Arena in Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen. Den Beschluss dazu fasste der Stadtrat Münchens in breiter Mehrheit. Selbst die CSU war dafür. Zur Erinnerung, die CSU hat in der Vergangenheit oft für Orbán Partei ergriffen und enge Beziehungen mit seiner Partei geführt, auch als innerhalb der Europäischen Volkspartei der Rückhalt Orbáns bröckelte. Die UEFA verweigerte der Stadt München jedoch die Erlaubnis, sodass die Allianz-Arena nicht in Regenbogenfarben leuchtete. Im weiteren Verlauf des Turniers gab es auch Vermutungen, dass die UEFA auch Regenbogenflaggen in Stadien verbot, so beispielsweise, wenn in Russland gespielt wurde.

Die Empörung über die UEFA ist groß. So titelt ein ZEIT-Kommentar „Die Scheinheiligkeit der UEFA“. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) spricht von einem „Foulspiel gegen die Menschenrechte“. Doch was bleibt nach der Empörung? Was lernen wir aus dem Fall?

Institutionen wie die UEFA sind keine Allies, wenn es darauf ankommt. Während Neoliberale gerne davon reden, wie der freie Markt queere Menschen empowert, setzt sich die UEFA nicht für queere Menschen ein, wenn es ihre Profite bedroht. Die Illusion des Rainbow-Kapitalismus, der queere Menschen und Allies als Konsumenten anerkennt, gibt denjenigen unserer Community wenig, deren Kämpfe nicht profitbringend sind. Es bleiben harte Konflikte, die von Aktivist*innen in widrigen Bedingungen zu kämpfen sind.

Die Allianz-Arena wäre ein Symbol gewesen. Aber mehr als Symbolpolitik und etwas Verärgerung aus Ungarn wäre nicht drin gewesen. Die Leidtragenden der ganzen Sache bleiben die queeren Menschen in Ungarn. Eine Arena zu beleuchten ist etwas, das keine Kosten hat. Es ist die Art von Symbolpolitik, die sich selbst die Union leisten kann, weil sie dabei etwas pinkwashing betreibt, ohne queeren Menschen große Zugeständnisse zu machen. Britta Haßelmann bemerkte auf Twitter zurecht, der Generalsekretär der Union, Paul Ziemiak, setze sich zwar für die Beleuchtung der Allianz-Arena ein, im Wahlprogramm der Union stehe jedoch nichts für drin für LSBTI. Die Allianz-Arena zu beleuchten, erwirkt den Anschein, man habe etwas getan, obwohl nichts getan wurde.

Das ist jedoch gefährlich, denn queere Menschen brauchen mehr als nur Symbole. Und es besteht die Gefahr, dass das Thema wieder vom Tisch ist, wenn das Spiel vorbei ist, und die ungarischen Aktivist*innen auf sich allein gestellt sind, weil der Bundestag Sommerpause hat und wir alle Wahlkampf machen.

Die queerfeindlichen Aktionen Ungarns verstoßen gegen EU-Verträge. Schon der Vertrag von Amsterdam, der 1999 in Kraft getreten ist, schützt queere Menschen vor Diskriminierung. Die EU-Kommission ist als Hüterin der Verträge dazu verpflichtet dies durchzusetzen. Aber auch Deutschland könnte sich im Europarat stärker zum Thema positionieren. Es kann auf Ungarn Druck ausgeübt werden durch das Einfrieren von EU-Geldern. Das alles ist jedoch harte Politik, die unschön werden kann und Energie erfordert. Dafür muss man sich einsetzen. Es könnte aber queeren Menschen in Ungarn tatsächlich helfen.

In Baden-Württemberg sitzen viele Automobilkonzerne, die in Ungarn Produktionsstätten haben. Auch hierdurch kann Druck ausgeübt werden. So müssen wir durch Lieferkettengesetze auch die Rechte queerer Arbeiter*innen auf Nichtdiskriminierung sicherstellen.

Der Streit der EU mit Polen und Ungarn intensiviert sich. Es geht dabei um sehr viel, gerade auch um die Rechte queerer Menschen. Es ist wichtig zwischen symbolischer Politik und tatsächlich helfender Politik zu unterscheiden und am Ball zu bleiben, damit queere Themen nicht unter den Tisch fallen. Die EM ist vorbei und damit auch die Aufmerksamkeit für die Lage in Ungarn. Einige werden den Streit um die Allianz-Arena schon vergessen haben. Aber das Gesetz in Ungarn bleibt.

Echte Solidarität bedeutet jetzt queeren Menschen und Organisationen in Ungarn zur Seite zu stehen. Die queerfeindliche Rechtsprechung dort ist nicht über Nacht gekommen. Die Kommission hat es versäumt, bei Rechtsstaatlichkeit und Schutz vor Diskriminierung zeitnah einzugreifen. Die Konsequenzen tragen nun leider Minderheiten wie queere Menschen.

Einige rufen jetzt danach, Ungarn und Polen aus der EU zu werfen. Damit ist dort aber niemandem geholfen. Ein Rauswurf wäre ein Eingeständnis des Scheiterns der EU, ihre Werte durchzusetzen. Wir würden damit die queeren Menschen in Ungarn und Polen einfach aufgeben. Beim Rauswurf geht es nur darum, dass westeuropäische Länder ihr Gesicht wahren können. Das widerspricht jedoch meinem Verständnis von europäischer Solidarität. Queere Menschen in Ungarn und Polen brauchen die EU mehr denn je. Sie brauchen den Schutz ihrer Rechte, welche die EU eigentlich garantiert. Ein Rauswurf würde ihnen das verweigern.

Es ist an uns echte Solidarität zu zeigen und Wege zu suchen, die zwar schwierig sind, aber notwendig. Es ist an uns aufzuzeigen, wenn Scheinlösungen präsentiert werden, um das Gesicht zu wahren, den Menschen jedoch nicht helfen. Auch nach dem Pride Month.