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CATCALLING – FLIRTEN GEHT ANDERS
Fr, 11.2.22

CATCALLING – FLIRTEN GEHT ANDERS

Catcalling klingt erstmal ziemlich harmlos. Wenn man den Begriff wörtlich übersetzt, bedeutet er so viel wie eine Katze (herbei)rufen oder anlocken. Süßer Anglizismus – könnte man zumindest meinen.
Aber wie problematisch die Thematik tatsächlich ist, zeichnet sich schnell ab: Catcaller versuchen nämlich keine Katzen anzulocken, sondern eine (zumeist fremde, weibliche) Person.
Wenn diese „Anlockungsversuche“ sexueller Art sind und in der Öffentlichkeit stattfinden, gelten sie als Catcall. Oder kurz gesagt: Catcalling ist nichts weiter als ein Euphemismus für verbale sexualisierte Belästigung.

Frauen dürfen sexualisiert werden

Noch ein kleiner Einschub, den ich im Zuge dieses Artikels, nicht weglassen kann: Was in diesen Diskussionen oft übersehen wird ist, dass die Sexualisierung einer Frau völlig okay ist, solange es in ihrem Einverständnis geschieht. Das Gegenteil wäre sogar genauso mysogyn, denn es würde bedeuten, dass man einer Frau jegliche Sexualität abspricht. Das Problem ist also nicht die Sexualisierung von Frauen per se, sondern die Über-Sexualisierung. Besonders kritisch ist, wenn diese auch noch in unangebrachten (alltäglichen), von wildfremden Personen, ohne jegliche Einverständnis oder sogar gegen den Willen der Frau erfolgt.

Keine Komplimente

Ich höre schon das erste „Aber“ in meinem Hinterkopf, das an dieser Stelle normalerweise eingeworfen wird: Dann kann man ja gar keine Komplimente mehr machen.
Lasst mich deshalb hier Eines vorwegreifen: Flirten geht anders. Ich stelle jetzt einfach mal die These auf, dass noch kein Mann einer Frau „Ey! Du hast voll die inspirierende Ausstrahlung!“ hinterhergerufen hat. Dass diese Vorstellung schon fast komödiantisch wirkt, verdeutlicht, dass Catcalls nichts mit Komplimenten zu tun haben. Catcalls sind – per Definition – anzüglich. Catcalls objektisieren Menschen. Catcalls geben kein gutes Gefühl. Im Gegenteil: Sie machen Angst.

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen untersuchte die Folgen von Catcalling und fand heraus, dass die Mehrheit der Studienteilnehmer*innen nach Catcalling-Vorfällen ängstlicher wurde. 40% der Befragten meideten danach bestimmte öffentliche Orte. 8% änderten daraufhin sogar ihren Kleidungsstil. (1)
Lasst uns einmal kurz Klartext sprechen: Dass die Schlussfolgerung aus solchen Erlebnissen lautet, sich (vor Orten oder unter Klamotten) zu verstecken, um nicht ungewollt belästigt zu werden, ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis. Auch die Studie findet klare Worte: Catcalling traumatisiert Betroffene, schüchtert und schränkt sie ein.

Das macht es aber noch lang nicht strafbar. Unser Rechtsstaat schützt uns nämlich nur vor sexueller Belästigung – nicht aber vor verbaler sexualisierter Belästigung. Catcalling ist legal – zumindest in den allermeisten Fällen.

(K)ein Angriff auf die Ehre

Sexuelle Belästigung steht in Paragraf 184i des Strafgesetzbuchs und liegt nur dann vor, wenn jemand „in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt“ wird. (2) Da es beim Catcaling nicht zu Körperkontakt kommt, fällt es durchs Raster.

Strafrechtlich relevant wird eine rein verbale Belästigung nur, wenn der Tatbestand der Beleidigung zutrifft. Dieser setzt allerdings einen Angriff auf die Ehre einer Person voraus.
Dann müsste der Drops doch gelutscht sein. Beim Catcalling wird einem die Ehre eines Meschen abgesprochen – man wird ja schließlich zu einem Objekt heruntergesetzt.
Zu früh gefreut. Das Bundesverfassungsgericht betont nämlich: „(A)llein die sexuelle Motivation des Täters, mit der er den Betroffenen unerwünscht und gegebenenfalls in einer ungehörigen, das Schamgefühl betreffenden Weise konfrontiert, genügt für die erforderliche, die Strafbarkeit begründende, herabsetzende Bewertung des Opfers nicht.“ (3)

Was würde denn genügen? Naja, die Verletzung der Ehre müsste vorsätzlich geschehen oder zumindest bewusst in Kauf genommen werden. Was auch bedeutet, dass wenn dich jemand mit „Geiler Arsch!“ nicht beleidigen will, er das per Gesetz dann auch nicht tut. (4) Catcalling erfüllt also nur dann einen Tatbestand, wenn der Catcaller ausdrücken will, dass man mit einem „so etwas ohne weiteres machen kann“ (5).

Viele Aktivist*innen kreiden diese Auffassung wortwörtlich an. Nach dem New Yorker Vorbild lenken mittlerweile auch Kreide-Schriftzüge in deutschen Großstädten – u.a. auch in unserer Landeshauptstadt Stuttgart – regelmäßig Aufmerksamkeit auf das Thema.


Der Ball kommt ins Rollen

Neben den Straßen-Aktivist*innen startete Antonia Quell 2020 eine Petition mit dem Titel „Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein“ (6). Sie fordert darin, dass Catcalling zur Ordnungswidrigkeit ernannt wird und somit in Zukunft Geldbußen für verbale sexualisierte Belästigungen anfallen. Sie begründet die Dringlichkeit ihrer Petition mit den einleitenden Worten: „Nicht jeder Mann macht es, aber jede Frau kennt es“. Antonia Quell trifft auf viel Zuspruch: 2021 erreichte sie die benötigte Anzahl an Mitzeichner*innen, sodass der Bundestag über die Petition diskutieren wird.
Mit der steigenden Popularität der Thematik herrscht mittlerweile ein öffentlicher Druck auf der (mittlerweile ja auch noch linkeren) Regierung, welcher der Petentin und ihren Unterstützer*innen zu Gute kommen könnte. Aber was könnte sich konkret ändern?

Ein Blick in die Glaskugel

Da verbale sexualisierte Belästigung keine eindeutige Belästigungshandlung (Berührung), sondern nur eine subjektive Einschätzung kennt, fällt die juristisch Abgrenzung schwer. Das macht die Einstufung Catcallings zur Ordnungswidrigkeit deutlich wahrscheinlicher als zu einer Straftat. Frankreich und die Niederlande sind uns dabei – wie so oft – einen Schritt voraus, aber auch Protugal und Belgien haben Catcalling schon in das Gesetzbuch aufgenommen. (6) Würde der Bundestag im Sinne der Petition entscheiden, könnten künftig Geldbußen fällig werden; in Frakreich beträgt die zu zahlende Summe bis zu 750€.

Doch gerade wegen der schwammigen Grenzen müssten Catcalling-Vorfälle weiterhin als Einzelfälle betrachtet werden. Warum also überhaupt etwas ändern, wenn es gleich mühsam bleibt? Die Juristin Anja Schmidt betonte im SPIEGEL: „Eindeutiger wäre die Sache, wenn wir einen Strafbestand der verbalen sexuellen Belästigung hätten“. (1) Im Zweifelsfall könnte also mit einer eindeutigeren rechtlichen Grundlage mutmaßlich öfter ein Erfolg aus Sicht der betroffenen Frauen erzielt werden.

The bigger picture

Ob tatsächlich mehr Fälle bestraft werden könnten, bleibt vorerst Spekulation. Doch die Signalwirkung wäre entscheidend: Der Gesetzgeber würde bestätigen, dass dieses Verhalten inakzeptabel ist – ein wichtiges Zeichen für Frauen, die schon heute mit den Folgen von Catcalling leben müssen. Das was eigentlich Angst macht, ist übrigens nicht der Catcall an sich, sondern der Catcaller. Wer einen Menschen degradierd, objektisiert und sexuelle Bemerkungen macht, könnte schließlich auch einen Schritt weiter gehen. Catcalling entspricht also Einschüchterung und Machtspiel. Einfach weil man(n) es kann.
Im Großen und Ganzen sind Catcalls das gelebte Patriarchat des 21. Jahrhunderts: die Sexualisierung und damit Einschüchterung von Frauen im Alltag. Das erklärt auch, warum die meisten Catcaller Männer und die meisten Betroffenen Frauen sind (und warum in diesem Artikel bewusst nicht immer gegendert wurde). Die Frage um die Strafbarkeit von Catcalling ist also nicht nur eine juritsische, sondern hauptsächlich eine gesellschaftspolitische. Oder in anderen Worten: Es liegt in unserer Hand.

Quellen

(1) Spiegel. Sexuelle Aufdringlichkeiten ohne Körperkontakt Catcalling laut Studie weitverbreitet. Link: https://www.spiegel.de/panorama/catcalling-laut-studie-des-kriminologischen-forschungsinstituts-niedersachsen-weitverbreitet-a-f7ab2a44-4c71-464a-a25c-4f0c7cb5…
(2) Strafgesetzbuch. §184i Sexuelle Belästigung. Link: https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__184i.html
(3) BGH, Beschluss vom 2. November 2017*
(4) BGH, Beschluss vom 5. März 2008*
(5) BGH, Urteil vom 19. September 1991*
(6) Petition Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein. Link: https://www.openpetition.de/petition/online/es-ist-2020-catcalling-sollte-strafbar-sein

*Quelle (3) bis (5) werden vom Deutschen Bundestag zitiert. Link: https://www.bundestag.de/resource/blob/811328/f2f3f7c2442a79af4c0d4f4f10e385c6/WD-7-115-20-pdf-data.pdf

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Tina Hauswald
Zitro-Redaktion