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Ableismus - Interview mit Lynn und Arjun
Do, 27.10.22

Ableismus - Interview mit Lynn und Arjun

Was ist Ableismus?

Lynn: „Ableismus ist eine der Formen von struktureller Diskriminierung, und zwar gegen Menschen mit Behinderung, chronischen und/oder psychischen Erkrankungen und neurodivergenten Menschen. Wie jede strukturelle Diskriminierung, z. B. auch Sexismus oder Rassismus, ist sie tief in der Gesellschaft und in unserer Welt über Jahrhunderte verankert worden. Besonders wichtig ist hier die Verzahnung mit Kapitalismus zu nennen, da Menschen mit Behinderung nicht als gleichwertig leistungsfähig und daher weniger wert angesehen werden.“

Wie können wir erkennen, wenn Ableismus vorliegt?

Lynn: „Natürlich gilt dabei immer die Definition von uns als betroffenen Menschen. Ableismus hat viele Gesichter, z. B. dass Menschen mit Behinderung aufgrund ihres Aussehens diskriminiert werden. Dies kann sich zum Beispiel durch langes Starren oder Ausweichen auf der Straße zeigen. Es gibt auch strukturellen bzw. institutionellen Ableismus, wie z. B. dass Behindertenwohnheime oft an Stadträndern liegen, dass FINTA* mit Behinderung schlechtere Chancen auf Strafverfolgung nach sexualisierter Gewalt haben, dass die Vergabe von Behindertengraden übergriffig und oft willkürlich ist, usw.

Wenn ihr euch unsicher seid, ob es Ableismus ist, fragt euch: Können Menschen mit Behinderung gleich einfach an diesem Gespräch teilnehmen? Werden sie auf Augenhöhe behandelt? Wird ihnen geglaubt und werden sie nicht belehrt? Ist das einzige Thema, womit sie sich beschäftigen Inklusion? Bei Beleidigungen gilt in meinem Kopf eigentlich die Faustregel, dass fast alle Beleidigungen in irgendeiner Form diskriminierend sind. Das klingt erstmal frustrierend, aber gehört auch mit dazu.“

Was können wir gegen Ableismus tun?

Arjun: „Das wohl einfachste ist, dass jede*r von uns Menschen mit Behinderungen Platz und Stimme bekommt. Eine simple Möglichkeit ist, dass jede Person, die nicht von Ableismus betroffen ist, einmal den eigenen Social-Media-Account einer Person mit Ableismus-Erfahrung gibt. Somit bekommen Menschen mit Ableismus-Erfahrung einen Platz und eine Stimme in jenem Teil der Gesellschaft, der Ableismus nicht kennt bzw. ohne diesen Platz und dieser Stimme nie kennenlernen wird. Das wäre mein persönlicher Vorschlag, wo jede*r Einzelne von uns wirklich etwas gegen Ableismus tun kann.“

Lynn: „Sich mit dem Thema auseinandersetzen. Betroffene sind kein wandelnder Infostand für Nicht-Behinderte! Dabei sollte man Betroffenen zuhören, die diese Arbeit bereits machen, z. B. Aktivist*innen. Ob auf den Sozialen Medien, als Podcast oder ein Buch zum Thema lesen. Wir brauchen Allies! An der Stelle kann ich anmerken, dass die Aktivistin Luisa L’Auduce bald das Buch „Behindert und Stolz“ rausbringt. Reflektiert und seid bereit, dass es unangenehm werden kann. Wenn ihr Ableismus mitbekommt, greift in die Situation ein und fragt die betroffene Behinderte Person, was sie benötigt.
Alles in allem wirkt das nach viel Arbeit. Ich weiß, dass nicht jede*r gleich viel Ressourcen zu Verfügung hat. Das ist auch okay. Man muss ja nicht sofort alles wissen, aber immer wieder einen kleinen Schritt in die richtige Richtung machen, ist das Wichtigste. Und wenn ein Mensch mit Behinderung sagt, etwas ist ableistisch, dann ist das so. Habt dabei auch Verständnis für uns Behinderte Menschen. Es ist sehr belastend und macht auch einfach wütend Ableismus zu erfahren. Diese Wut ist richtig und wichtig, denn Veränderungen, Anerkennung und Gleichberechtigung musste immer erkämpft werden.“

Was kann die Grüne Jugend Baden-Württemberg gegen Ableismus tun?

Arjun: „Der wohl wichtigste Schritt, den die Grüne Jugend Baden-Wüttenberg gegen Ableismus unternehmen kann, ist wohl die Repräsentanz von Menschen mit Behinderung im Verband zu steigern – besonders in den Gremien, Ämtern und Vorständen. Gleichzeitig ist es auch wichtig, dass die GJ BW auch barriereärmere bzw. barrierefreie Strukturen schafft, das fängt an bei der Mitgliedschaftsbeantragung und geht weiter über den Aktivismus, Veranstaltungen, Kandidaturen etc..“

Lynn: „Ich denke vieles hängt mit guten Strukturen zusammen. In der GJ Hessen haben wir vor wenigen Monaten den ersten strukturellen Inklusionsantrag durchgebracht. Denn erst wenn Menschen mit Behinderung Teil unseres politischen Raums sind, können wir uns selber auch zu Wort melden und einbringen (natürlich nicht nur beim Thema Inklusion!). Außerdem sind Menschen mit Behinderung eine riesige Gruppe. Das hat man öfters mal nicht auf dem Schirm z. B. dadurch, dass Menschen mit unsichtbaren Behinderungen nicht als behindert angesehen werden. Wenn sich die Strukturen verbessern, kann das also nicht nur für neue, sondern auch schon langjährige Mitglieder von Vorteil sein. Als 2. Punkt kann man Bildungsarbeit machen. Bildungsarbeit gehört für mich immer mit zur Grünen Jugend. Also Workshops zu Ableismus, Inklusion, Barrierefreiheit, usw. Dabei müssen es eben Expert*innen, also Behinderte Menschen sein. Diese sollten auch gerecht entlohnt werden. Unsere Arbeit bleibt oft unbezahlt, dabei sind Menschen mit Behinderung stärker von Armut betroffen als nicht behinderte. Als letzte Möglichkeit würde ich Empowerment nennen. Also zum Beispiel Vernetzung schaffen in einem Safer Space.“

Eine persönliche Frage: Warst du schon einmal von Ableismus betroffen?

Arjun: „Als Mensch mit schwerer Sehbehinderung war ich von Ableismus schon häufiger betroffen. Aber in Europa sind wir Menschen mit Behinderung tagtäglich von Ableisumus betroffen, da wir nicht die Freiheiten der EU genießen könne wie andere, Barrieren im öffentlichen Verkehr, größtenteils exklusive Bildungsmöglichkeiten und exklusive Arbeitswelt etc..“

Wie geht die Öffentlichkeit mit dem Thema um?

Arjun: „Aktuell ist das Thema in der Öffentlichkeit gefühlt wenig bis gar nicht vertreten – das ist ja das Problem. Es gibt hier und da positive Entwicklungen, die aber in der ableistischen Welt viel zu schnell verpuffen. Es braucht hier einen tiefgreifenden und allumfassenden Ruck hin zur anti-ableistischen Welt, hin zur anti-ableistischen Gesellschaft.“

Lynn: „In meiner Wahrnehmung findet das Thema Ableismus kaum Platz im öffentlichen Diskurs. Wenn z.B. über ableistische Gewalttaten dann doch berichtet wird, werden diese als Einzelfälle dargestellt. Dabei ist es ein strukturelles Problem. Allgemein kommen beim Thema Ableismus selten Betroffene zu Wort, sondern oft Organisationen oder Menschen, die ableistische Strukturen aufrechterhalten. Das muss sich ändern. Es muss Teil der öffentlichen Debatte sein und das wird auch erst möglich, wenn öffentliche Räume barriereärmer werden.“

An wen können sich Betroffene wenden?

Lynn: „Ableismus ist leider auch, wie oben erwähnt, institutionell verankert. Also ist es echt schwer, in diesen Institutionen Hilfe und Unterstützung zu finden. Daher empfehle ich viel lieber die Behinderten-Community. Dort findet man nicht nur Unterstützung, sondern auch meistens gute Tipps, um mit der Situation umzugehen. Zum Beispiel gibt es im deutschsprachigen Raum die Angry Cripples. Das ist ein Behindertennetzwerk gegründet von zwei Behinderten Aktivistinnen: Alina Buschmann und Luisa L’Audace. Außerdem gibt es auch die GJ-interne Vernetzung. Dort habe ich immer Support, Mitstreiter*innen, aber auch gute Freund*innen gefunden.“

Was sind ableistische Wörter und kannst du ein paar Beispiele nennen?

Arjun: „Ableistische Wörter sind jene Wörter, die Menschen aufgrund ihrer körperlichen Fähigkeiten kategorisieren, bewerten, stereotypisieren, beleidigen und diskriminieren. Im Weiteren wird jegliches Wort zu einem ableistischen Wort, wenn es absichtlich für das Triggern einer anderen Person verwendet wird.

Beispiel für ableistische Wörter sind z.B. „Dummkopf“, „Idiot“ oder „Spasti“.“

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Lynn Markert (sie/ihr)

Lynn ist 20 Jahre alt und Beisitzerin im Landesvorstand der GJ Hessen. Privat studiert sie Psychologie in Marburg.

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Arjun Pfaffstaller (er/ihm)

Arjun ist 26 Jahre alt und studiert aktuell im Master Accounting und Finance in deutscher, italienischer und englischer Sprache in Bozen. Er kam 2018 zur Grünen Jugend und hat dort 2 Jahre lang das Fachforum Wirtschaft und Soziales koordiniert.

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Hanna
Zitro-Redation